Arbeit – ein modernes Heilsversprechen

Der folgende Text ist in der Pilot-Ausgabe des transform-Magazins erschienen, das ich euch hiermit sehr ans Herz legen möchte! Vorbestellungen sind noch möglich.

„Vermögensberatung ist für mich Berufung und Leidenschaft zugleich. Ich helfe den Menschen in Deutschland, ihre finanziellen Ziele zu verwirklichen und fürs Alter vorzusorgen. Damit nehme ich sowohl gesellschaftliche als auch soziale Verantwortung wahr. Das ist es, was mich antreibt. Und Sie?“

Schöner, als in diesem Statement des Vermögensberaters André Knies in einer Werbeanzeige der Deutschen Vermögensberatung (die mit der kostenlosen BILD-Zeitung zum 9. November 41 Millionen mal verteilt wurde), lässt sich die moderne Erzählung von Arbeit nicht auf den Punkt bringen. Danach hat Arbeit eine individuell und eine kollektiv positive Seite, und beide ergänzen sich im Idealfall perfekt. Für André Knies ist Arbeit individuelle Selbstverwirklichung pur: Berufung und Leidenschaft. Und diese Erfüllung in seiner Arbeit speist sich eben auch aus dem Wissen, mit der Arbeit einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Er ist überzeugt, gesellschaftliche und soziale Verantwortung wahrzunehmen.

Tatsächlich kann diese Geschichte als Meistererzählung verstanden werden, die heute über alle politischen Lager hinweg geglaubt wird. Ob der konservative Jurastudent einen gut bezahlten Job in der Anwaltskanzlei anstrebt oder die linke Studentin von selbstverwirklichender Arbeit im demokratisch organisierten bio-fair-Betrieb träumt: Beide teilen denselben Glauben. Nämlich den, dass sich eine Arbeit finden oder schaffen lässt, die zum einen selbstverwirklichend ist und zum anderen einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leistet.

Die Realität sieht jedoch etwas anders aus. Massenarbeitslosigkeit ist Normalität in Europa. Wer noch Arbeit hat, der ist meist schlecht bezahlt, prekär beschäftigt oder verrichtet stupide, entfremdete Arbeit. Kaum ein Mensch wird ernsthaft behaupten, dass die Arbeit der dauergestressten DHL-Boten, der immer lächelnden Marlboro-Promoter, der Fließbandarbeiterinnen oder der Putzmänner irgend etwas mit Selbstverwirklichung zu tun hat. Die massive Zunahme so genannter Burn Outs – gerade bei gut verdienenden, hochgebildeten jungen Menschen – zeigt deutlich, dass es auch bei den angeseheneren Berufen der Mittelschicht mit Selbstverwirklichung nicht so weit her sein kann. Hinzu kommen gesellschaftliche und ökologische Folgen. Mag André Knies auch überzeugt sein, soziale Verantwortung wahr zu nehmen, so wird er bei genauerem Hinsehen feststellen, dass die Rendite seiner Finanzprodukte nicht nur mit ökologisch katastrophalem Wachstum, sondern auch mit Waffenhandel und Lebensmittelspekulationen erwirtschaftet wird. Wie auch der Restaurantbesitzer an tierischem Leid und Bodenerosion arbeitet und selbst die kritische Wissenschaftlerin Computer-Hardware nutzt, die auf Raubbau an Mensch und Natur beruht.

Kurz: Unsere Wünsche und Träume in Bezug auf Arbeit stehen einer Realität gegenüber, in der es fast unmöglich geworden ist, einer Arbeit nachzugehen, die nicht auf Selbst- oder Fremdausbeutung beruht.

Der Schlüssel zum irdischen Glück

Dem Kapitalismus die Schuld zu geben, ist banal. Aber erwarten wir vielleicht nicht auch höchst unrealistische Dinge von Arbeit? Gab es da nicht auch mal die andere Geschichte, die von Arbeit als Leid und Mühsal?

Ideengeschichtlich ist unser heutiger Arbeitsbegriff mit der Loslösung aus theologischen Deutungsmustern im Zuge der Aufklärung entstanden. In christlicher Tradition war Arbeit noch Plackerei: nach dem Sündenfall verfluchte Gott den Acker und Arbeit wurde zur Mühsal. Dennoch blieb Arbeit Mitarbeit an Gottes Schöpfung und hatte so stets seinen Segen. Arbeit verhieß Ehre und innere Würde – sofern sie im Gebet verrichtet wurde. Erlösung im Jenseits konnte durch irdische, gottgefällige Arbeit erreicht werden, eine Vorstellung, die bei Martin Luther sogar noch radikalisiert wurde.

Das Seelenheil im Jenseits wird im Zuge von Aufklärung und Ökonomisierung säkularisiert, das heißt, es kann nun schon vor dem Tod erlangt werden – durch Arbeit. Arbeit wird mit der Loslösung aus religiösen Zusammenhängen zu einem weltlichen Mittel, dass zu Reichtum und Wohlstand führt.

Damit einhergehend entstanden weltliche Glücksseligkeitslehren. Der Utilitarismus begreift Glück als Zustand, der durch äußere, materielle Dinge erreicht werden kann. Glück muss jetzt nicht mehr durch innere Einkehr, also Gebet, Kontemplation und die Zuwendung zu Gott gesucht werden, sondern kann durch Arbeit und dadurch erarbeiteten Wohlstand verwirklicht werden. Arbeit wird – und das ist die radikale Bedeutungsverschiebung – zu einen Mittel, dass durch Gütervermehrung irdisches Glück produziert. Damit kommt auch die Wachstumslogik ins Spiel: irdisches Glück kann durch immer mehr und immer bessere Arbeit prinzipiell unendlich vermehrt werden. Das säkuläre Heilsversprechen lautet, dass mehr und bessere Arbeit zu mehr Glück und mehr Wohlstand für alle führt.

Eine Gegengeschichte

Dummerweise funktioniert diese Geschichte heute nicht mehr – falls sie jemals funktioniert hat. Es ist wie gesagt recht unwahrscheinlich, eine Arbeit zu finden, die nicht auf Selbst- oder Fremdausbeutung beruht. Das ist kein Zufall, sondern hat systemische Ursachen: Die immer größere Spezialisierung und Arbeitsteilung produziert unweigerlich Entfremdungserfahrungen (individuelle Ebene) und der globalisierte Kapitalismus beruht auf Ausbeutung der Natur und unbezahlt verrichteter Arbeit (kollektive Ebene).

Es schleicht sich hier der Verdacht ein, dass das (von André Kies so wunderbar auf den Punkt gebrachte) Heilsversprechen der Arbeit vor allem systemstabilisierende Funktion hat. Wir alle funktionieren doch viel besser auf prekären, entfremdeten und politisch eigentlich nicht vertretbaren Arbeitsplätzen, so lange wir von der Annahme getrieben werden, dass wir eben nur noch (!) nicht den richtigen Job gefunden haben. Ich will damit nicht bestreiten, dass es Menschen gibt, die ihre Arbeit mehr oder weniger selbstverwirklichend erleben oder aus guten Gründen der Meinung sind, etwas sinnvolles für die Gesellschaft zu tun. Nur: Dieser Fall ist systematisch unwahrscheinlich. Dabei können wir uns doch auch wunderbar auf „unproduktive“ Weise selbstverwirklichen: Ich denke hier an Freundschaft, Bildung, Liebe, Meditation, ästhetische und Naturerfahrung. Und was ist mit der gesellschaftlichen, der Weltverbesserungs-Komponente? Der Kapitalismus ist heute ziemlich gut darin, sich jedes noch so revolutionär erscheinende Projekt einzuverleiben. Nein, Bionade hat überhaupt nichts verändert. Genauso wenig wird es die x-te bio-fair-Brause tun. Der Konsum nachhaltig produzierter Güter ist doch vor allem Distinktionsmerkmal der Hipster-Generation.

Möglicherweise haben kritische Theoretiker wie Axel Honneth oder Alain Touraine recht, wenn sie widerständiges Handeln dort verorten, wo sich das Subjekt bewusst der gesellschaftlichen Nützlichkeit entzieht. Dann liegt das Potential zum Widerstand aber gerade in den oben aufgezählten gesellschaftlichen Bereichen, die keiner instrumentellen Rationalität unterliegen, die sich nur schwerlich als Arbeit bezeichnen lassen. Es wäre dann an der Zeit, Arbeit wieder in seiner ursprünglich Bedeutung als Mühsal und Plackerei zu verstehen. Als notwendiges Übel, das uns vom Widerstand, vom Lieben und vom Leben abhält.

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