Die derzeitige Organisation der Erwerbsarbeit ist ein Wachstumsmotor. Ich meine damit mehr, als dass Politiker wirtschaftliches Wachstum heute als einzige Möglichkeit auffassen, dem Problem der Massenarbeitslosigkeit zu begegnen. Diese These möchte ich nach und nach konkretisieren. In diesem Beitrag zunächst einige begriffsgeschichtliche Überlegungen die zeigen, wie Arbeit seit Adam Smith einen Begriff darstellt, der eng mit linearem Fortschritts- und Wachstumsglauben verbunden ist. Dabei orientiere ich mich stark an der Begriffsgeschichte von Werner Conze (1972), die Andrea Komlosy kürzlich als „eurozentristische Meistererzählung“ bezeichnet hat, der niemand entkommen könne, der zu Arbeit forsche (Komlosy 2014: 12).
Der Arbeitsbegriff vor der Aufklärung
In dem Weltbild dieser Zeit war für linearen Fortschritts- und Wachstumsglauben wenig Platz. Das gilt daher auch für den Begriff der Arbeit, und das liegt nicht an der Arbeitsverachtung der griechischen Antike, die — mehr oder weniger stark — bis in die Moderne immer wieder durchscheint und in grundsätzlicher Spannung zum christlichen Arbeitsbegriff steht. Denn bereits im frühen Christentum bekommt Arbeit eine positive Konnotation als „Dienst an Gott“. Mit dem Fluch Gottes und der Austreibung aus dem Paradies wird Arbeit zwar zur Mühsal da der Acker verflucht wurde („So soll nun der Acker verflucht sein um deinetwillen; unter Mühsal sollst du dich von ihm nähren“ (1. Buch Mose, 3, 17–19, zitiert nach Conze 1972)), aber gleichzeitig ruht der Segen auf der unter Entbehrungen verrichteten Arbeit: Arbeit ist Erfüllung, bringt Ehre und innere Würde — wenn sie im Gebet verrichtet wird. Dies ist die gemeinsame Grundlage des christlichen Arbeitsbegriffes, der ansonsten durchaus variierte.
Mit der Reformation wird dann erstmals die tätige Arbeit (viva activa) höher angesehen als das zu Gott hingewandten Leben viva contemplativa. Für Martin Luther ist jegliche in christlichem Gehorsam getane Arbeit gleichwertig. Arbeit mit den Händen ist Gebet, Müßiggang dagegen wird verurteilt: außer Kranheit u.a. darf es nun keine sittlich begründeten Ausnahmen von Arbeit mehr geben. Bettlerei wird als unsittlich angesehen und muss bekämpft werden, gleichzeitig kann Arbeit nun auch der Zucht und Erziehung dienen. Insbesondere in den calvinistischen Niederlanden entstanden Arbeits- und Zuchthäuser (Conze 1972: 165).
Mit dieser Hinwendung zu einem positiven Arbeitsbegriff stellt sich — insbesondere seit Max Webers Studien zur protestantischen Ethik — die Frage, ob der Protestantismus die Entstehung eines modernen, wachstumsbasierten Kapitalismus verursacht hat. Conze (ebd.) spricht sich deutlich dagegen aus. Zum einen ist Arbeit in der christlichen Tradition nie Selbstzweck gewesen, sondern immer „nur“ Dienst an Gott. Darüber hinaus, und das ist für die Wachstumsproblematik zentral, war das Streben nach Akkumulation und Expansion stets verpönt. Auf der Konsumentenseite gehört zum christlichen Arbeitsbegriff Zufriedenheit mit dem irdischen Besitz, eine konsumorientierte Steigerungslogik (immer mehr Konsum durch mehr und effizientere Arbeit) ist im christlichen Arbeitsbegriff nicht angelegt.
In der modernen Erwerbswelt aber darf es reine Zufriedenheit nicht mehr geben, weil sie prinzipiell Stillstand oder Rückschritt bedingt. So führt keine Brücke von christlicher Arbeit zum modernen ‚Kapitalismus‘. Die moderne Arbeitswelt ist achristlich, im Kern antichristlich, mochte das auch in ihrem Aufkommen verschleiert werden; denn in der politisch sozialen Praxis gab es genug fließende Übergänge vom Arbeitsethos des Protestantismus zur modernen Wertung der Arbeit.
Über die Aufklärung…
Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie aktuell sich der Arbeitsbegriff bei Adam Smith, David Ricardo und anderen Nationalökonomen darstellt. Mehr noch: wer die derzeitige Wirtschaftspolitik verfolgt, der findet einen Arbeitsbegriff, der diesem im 18. Jahrhundert entstandenen Begriff in großen Teilen entspricht — ganz so, als hätte es das Elend der Fabrikarbeit und die faschistische Vorstellung „entarteter“ vs. völkischer Arbeit im 19. und 20. Jahrhundert nie gegeben.
Dabei wurden die Grundlagen des modernen – und damit auch des ökonomischen – Arbeitsbegriffes in der Aufklärung gelegt. Arbeit wird aus dem christlichen Glauben gelöst und „verweltlicht“. Sie ist damit keine als „Dienst an Gott“ auf das Jenseits gerichtete Tätigkeit mehr, sondern wird ein Mittel um Ziele zu erreichen und Erfolg im Diesseits zu haben. Als Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur erhält Arbeit nun einen gesellschaftlichen Wert und beginnt sich so auch aus der Verbindung mit Armut zu lösen (ebd.: 168). Die heute nur noch schwer vorstellbare Gleichsetzung von Arbeit = Armut beginnt sich aufzulösen und zum heutigen Gemeinplatz zu wandeln, dass wer arm ist, „doch gefälligst arbeiten gehen“ solle (bzw. der gewerkschaftlichen Forcerung, dass wer arbeite, nicht arm sein dürfe). Arbeit wird also mit der Loslösung aus religiösen Zusammenhängen zu einem weltlichen Mittel, dass zu Reichtum und Wohlstand führen kann. Mit der Abkehr von religiösen Vorstellungen beginnt sich auch die Vorstellung davon zu wandeln, was Glück darstellt. Glücksseligkeit ist dann nämlich kein geistiger, moralischer innerer Zustand mehr der durch Gebet und die Hinwendung zu Gott erreicht werden kann, sondern wird zu einem Zustand der im Diesseits durch äußere Dinge verwirklicht werden kann. Arbeit wird — und das ist eine radikale Wendung in der Semantik von Arbeit — nun doppelt mit Glück verknüpft: Zum einen wird Arbeit zu einem Mittel, dass durch Gütervermehrung Glück produziert, zum anderen soll arbeiten selbst Glück und Freude bereiten. Damit wird dann auch die (bis heute nicht vollständige verdrängte) Konnotation von Arbeit und Mühsal langsam zurückgedrängt und die Vorstellung entwickelt, dass Arbeit durch technischen Fortschritt von der Last zur Freude wird.
Diese Vorstellungen waren im 17./18. Jahrhundert alles andere als komplett durchgesetzt. Im Gegenteil hielten sich die ständischen und religiösen Vorstellungen hartnäckig. Dennoch ist diese Entwicklung zentral, da sie zeigt, wie der moderne Arbeitsbegriff aus Prozessen der Säkularisierung heraus entstand. Sie macht auch deutlich, auf welchen Vorstellungen eine konservativ-christliche Wachstumskritik fußen kann: Sie verwirft die moderne Idee, dass Glück und Zufriedenheit durch (mehr) materiellen Konsum im Diesseits gefunden werden kann, rückbesinnt sich auf auf einen christlichen Arbeitsbegriff und versteht Arbeit als kreative „Mit-Arbeit“ an der Schöpfung und Dienst an Gott (vgl. Thielen 2013: 26ff). Die konservative Wachstumskritik teilt damit wichtige Ideale der Postwachstumsbewegung, neigt aber zugleich dazu, emanzipatorische Potentiale der Aufklärung zu negieren. (Merkposten: das Verhältnis von konservativer und emanzipatorischer Wachstumskritik ist dringend genauer in den Blick zu nehmen!)
… zur Ökonomisierung
Mit der Ökonomisierung des Arbeitsbegriffes in der klassischen Nationalökonomie wird die Abkehr vom christlichen Arbeitsbegriff konsequent weiter betrieben, darüber hinaus wird der Arbeitsbegriff auf (männliche) Erwerbsarbeit verengt. In der nationalökonomischen Literatur (von den Physiokraten über Smith zu Ricardo, Mill und anderen) tritt eine neue Bedeutungsebene hinzu, die gewissermaßen quer zur jüdisch-christlichen Arbeits-Semantik liegt. Während Arbeit in diesem Sinne stets Dienst an Gott bedeutete, aber nie Eigenwert hatte, wird Arbeit nun besagtes Mittel zum Erreichen von Glück und Wohlstand. Dies spiegelt sich in der Arbeitswertlehre von Smith über Ricardo bis Marx wieder, die Arbeit zur einzigen Quelle von Reichtum macht. Einher ging dies mit der Entwicklung einer weltlichen, utilitaristischen Glücksseligkeitslehre (Benthams bekanntes größte Glück der größten Zahl), die Glück als einen dem Menschen äußeren Zustand begreift. Glück muss jetzt nicht mehr durch Gebet, Kontemplation und die Zuwendung zu Gott erreicht werden, sondern kann durch Arbeit und dadurch erarbeiteten Wohlstand prinzipiell unendlich vermehrt werden.
Dabei ist hervorzuheben, dass gerade Adam Smith soziale und normative Widersprüche des frühen Kapitalismus kaum gesehen hat. Statt dessen herrscht ein Harmoniedenken vor, dass individuellen und kollektiven Nutzen gleich setzt und in der viel zitierten invisible hand-Metapher seinen Ausdruck findet. Indem der Einzelne seine individuellen Ziele verfolgt, dient er zugleich dem Allgemeinwohl. Durch das individuelle Streben nach Glück und Wohlstand (durch Arbeit und Konsum) wird zugleich der „Wohlstand der Nationen“ gemehrt. Die damalige Literatur war ausschließlich nationalstaatlich, d.h. es ging um die Vermehrung des nationalen Wohlstandes — hier schwingt die merkantilistische Idee des Reichtums von Staaten mit, allerdings mit der Weiterentwicklung, dass dieser Reichtum nun durch Arbeit generiert wird. Arbeit wird damit zum Wachstumsmotor. Durch Arbeitsteilung, effizientere Ressourcennutzung, Investitionen etc. kann zum einen individuelle Glück wachsen und zum anderen die Volkswirtschaft — beides in harmonischer Einigkeit. Arbeit erhält durch seinen Beitrag zum nationalen Wohlstand (heute: Bruttoinlandsprodukt) nun auch eine politische Komponente. Sie ist nun nicht mehr Arbeit an der Schöpfung Gottes, sondern — im Sinne der neu entstandenen politischen Religion des Nationalismus — Arbeit für die Nation. Erst dadurch, dass die Nation zu einer „auf allgemeine Arbeit gegründeten Leistungsgemeinschaft wurde“ (Conze 1972: 183), können nicht-produktive Menschen zu „Parasiten“ werden. (vgl. hierzu den Eintrag zur Ideologie der AfD)
Arbeit als Wachstumsmotor hat damit im ökonomistischen Weltbild zwei Wurzeln. Auf individueller Ebene ist es die Idee einer Unendlichkeit der Bedürfnisse (statt christlicher Genügsamkeit) und die nun mögliche Steigerung individuellen Glücks durch mehr Konsum (eine, wie Max Weber anmerkt, irrationale Strategie). Auf der kollektiven Ebene ist es die Idee wirtschaftlich wachsender und miteinander konkurrierender Kollektivsubjekte (Nationen). Beides geht einher mit einer Auflösung der ständischen sozialen Ordnung: Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit, Freizügigkeit und Konkurrenzwirtschaft. Mit der Auflösung tradierter Sozialstrukturen entsteht nun die Möglichkeit und Ideologie der Klassenmobilität. Sozialer Aufstieg wird nun zum individuellen Ziel, das über das Mittel der Erwerbsarbeit erreicht werden kann. Hier findet sich ein weiterer möglicher Wachstumsmotor, der eng mit Erwerbsarbeit verknüpft ist, bisher aber kaum diskutiert wurde (zur theoretischen Grundlegung von Aufstiegswunsch und Konsum vgl. aber Campbell 1983).
Ausblick
Der Arbeitsbegriff der ökonomischen Klassiker ist natürlich nicht der Endpunkt der Diskussion um Erwerbsarbeit. Es folgen die Verwerfungen der frühen Industrialisierung, konservative und sozialistische Kritik. Dennoch macht es Sinn, hier (fürs Erste) stehen zu bleiben. Denn der damals geprägte Begriff ist derzeit so präsent wie lange nicht mehr: die Verengung von Arbeit auf Erwerbsarbeit, Arbeit als Produktionsfaktor (perfektioniert in humankapitaltheoretischen Argumentationen), individuelle Vervielfältigung von Glück und sozialer Aufstieg durch Arbeit und Konsum, nationales Wachstumsstreben durch Arbeit und die Ausgrenzung „Unproduktiver“ — all das sind Kernelemente moderner Wachstumsideologie die sich unmittelbar in nationaler und supranationaler Politik wiederspiegeln.
Zentral an dieser Ideologie ist auch heute noch das schon bei Smith zu findende Harmoniedenken: Gute Erwerbsarbeit dient der individuellen Selbstverwirklichung, führt zu individuellem Glück, nationalem Wachstum und Wohlstand „für alle“. Eine Vorstellung, die nicht nur die Konflikthaftigkeit von Gesellschaft leugnet, sondern darüber hinaus durch Entwicklungen der modernen Arbeitswelt (working poor, steigende Ungleichheit, Krise der Care-Arbeit, Umwelt- und Klimakatastrophe etc.) zunehmend delegitimiert wird.
Literatur
Colin Campbell (1983). „Romanticism and The Consumer Ethic: Intimations of a Weber-style Thesis“. In: Sociological Analysis 44.4, S. 279–296
Werner Conze (1972). „Arbeit“. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historische Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Werner Conze, Otto Brunner und Reinhart Koselleck. Band 1. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 154–215
Andrea Komlosy (2014). Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive. 13. bis 21. Jahrhundert. Wien: Promedia
Michael Thielen und Matthias Zimmer, Hrsg. (2013). Die Zukunft der Arbeit. Christlich-soziale Perspektiven. Sankt Augustin, Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung