Zur Kapitalimus-Kritik der Naomi Klein

Naomi Klein ist so etwas wie der derzeitige shooting star der degrowth-Bewegung. Der Titel ihres neuen Buches verspricht einiges: „Die Entscheidung. Kapital vs. Klima“. Klärt Naomi Klein hier also endlich die so entscheidende Frage, ob Klimagerechtigkeit und Kapitalismus zusammen gehen? In diesem Beitrag diskutiere ich ihre in den „Blättern“ (5’15)1 abgedruckte democracy lecture, in der sie die Thesen ihres Buches2 prägnant zusammenfasst.

Kapitalismus oder Neoliberalismus?

Die Frage, auf die ich hier die Antwort suche ist die, ob Kapitalismus und Klimagerechtigkeit grundsätzlich unvereinbar sind, oder ob das Problem eine spezifische neoliberale Spielart des Kapitalismus darstellt. Wäre letzteres der Fall, dann ließen sich quasi Kapitalimus und Klima gemeinsam retten: Durch einen (wieder) stärker regulierten Kapitalismus keynesianischer Prägung mit starken staatlichen Sektoren, insbesondere im Bereich der öffentlichen Grundversorgung (Wasser, Strom, Gas, ÖPNV etc.). Wenn aber alle Spielarten des Kapitalismus zu Extraktivismus und Klimakatastrophe führten, dann müssten die politischen Konsequenzen sehr viel radikaler ausfallen. Wie sieht nun Naomi Kleins Antwort aus? Continue reading

Die Biene im modernen Kapitalismus

Wer wissen will, wie unser Wirtschaftssystem und gesellschaftlicher Fortschritt funktioniert (oder besser: der vorherrschenden Ideologie entsprechend funktionieren sollte), der muss nicht in Ökonomie-Lehrbücher schauen. Manchmal reicht es, ein beliebiges naturwissenschaftliches Sachbuch zur Hand zu nehmen. Beispielsweise das Buch „Phänomen Honigbiene“ des Würzburger Bienenforschers Prof. Jürgen Tautz. Ob Herrn Prof. Tautz bewusst ist, welche Geschichten er in seinem Bienen-Buch reproduziert? Egal, die Lektüre ist für den ideologiekritisch geschulten Blick jedenfalls die reinste Freude. Ich will sie euch nicht vorenthalten.

(alle folgenden Zitate stammen aus Kapitel 3: „Die Honigbiene — ein Erfolgsmodell“, Seitenzahlen in Klammern)

Es gab einmal eine — offensichtlich höchst rückschrittliche — Zeit, in der sich die Blumen nicht anders zu helfen wussten, als sich über den Wind bestäuben zu lassen. Ein „eher unökonomisches Unterfangen“ (55). Doch dann kam, wie es historisch fast immer ist, der „Fortschritt“, der zu verzeichnen war als die Insekten begannen, die Blüten zu bestäuben (55) und der noch weiter ging, als die Bienen diese Aufgabe monopolisierten (57). Denn „kein anderer Bestäuber ist so wirkungsvoll wie die Honigbiene“ (57), die ihre Kräfte „optimal im Feld verteilt“ (65). Wie kam es zu diesem Fortschritt?

Versuchen wir die Fortschrittserzählung anhand der Ausführungen von Prof. Tautz zu rekonstruieren. Als die Blumen merkten, dass sie sich effizienter durch Insekten als durch den Wind bestäuben lassen konnten, herrschte zunächst eine wilde Konkurrenzsituation auf dem Markt vor (56). „Das Bestäubungssystem der Blütenpflanzen hat eine Abhängigkeit zwischen Insekten und Blütenpflanzen hervorgebracht, bei der die Insekten wie auf einem Jahrmarkt zwischen den unterschiedlichen Anbietern wählen können und in der die Pflanzen um ihre Kunden, die blütenbesuchenden Insekten, konkurrieren. Dabei unterscheiden sich die Pflanzen als Anbieter in der Qualität und der Menge an Nektar, der den Besuchern angeboten wird, und auch die Polleninhaltsstoffe variieren von Pflanze zu Pflanze.“ (56) Continue reading

Marktradikaler Ultranationalismus — zur Ideologie der „Alternative für Deutschland“

Nicht erst seit den spektakulären Wahlerfolgen bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg wird intensiv darüber diskutiert, ob es sich bei der „Alternative für Deutschland“ (AfD) um eine rechtsextreme, eine rechtspopulistische oder „nur“ eine Partei rechts von der CDU handelt. Ich möchte mich hier etwas genauer mit der Ideologie dieser neuen Partei auseinandersetzen. Ich argumentiere dabei, dass die Ideologie der AfD nur im Zusammenspiel von Marktradikalismus und Ultranationalismus verstanden werden kann. Dabei geht es mir hier insbesondere darum, den ideologischen Überbau dieser Partei theoretisch darzulegen und weniger um den empirischen Nachweis, der an anderer Stelle geleistet werden muss (für meine empirischen Aussagen beziehe ich mich insbesondere auf Häusler 2013).

In den Medien wird oft die euro- und europakritische Haltung der AfD als Beleg für ihre „Rechtslastigkeit“ herangezogen. Eine solche Schlussfolgerung greift natürlich zu kurz, Europaskeptizismus alleine macht noch keine rechte Partei aus (vgl. Häusler 2013, 91). Dasselbe gilt für andere Merkmale wie Ausländerfeindlichkeit, Chauvinismus, Autoritarismus etc., die häufig bei rechten Parteien zu finden sind: erst in ihrem spezifischen Zusammenspiel machen sie ein extrem rechtes Weltbild aus. Es gilt also die Ideologie einer Partei oder Bewegung als Ganzes (und nicht einzelne Versatzstücke) in den Blick zu nehmen. Continue reading

Sozialwissenschaftliche Kategorien III

Die 4. degrowth-Konferenz letzte Woche in Leipzig war ein großer Erfolg, und das Wachstum der Postwachstums-Konferenz auf 3000 Teilnehmer_innen beeindruckend… Der folgende Beitrag spiegelt einige meiner inhaltlichen Überlegungen nach der Konferenz wieder.

Ich möchte hier ein auf der Konferenz stark vertretenes und für mich zentrales Thema — die feministische Kritik an der gegenwärtigen ökonomischen Theorie und Praxis — aufgreifen und weitergehend diskutieren. Ich halte die hier darzustellende Kritik für absolut zentral, bin mir aber nach wie vor sehr unsicher, welche Schlussfolgerungen im Hinblick auf die politische Praxis zu ziehen sind.

Die Kritik: “Externalisierung als Prinzip”

Adelheid Biesecker und Sabine Hofmeister (2010) machen ihre Kritik primär am Begriffsapparat der ökonomischen Theorie fest. Um es hier verkürzt, und möglicherweise nicht ganz korrekt wiederzugeben: Produktivität in der ökonomischen Theorie findet sich, wenn Produktionsfaktoren (Arbeit, Boden, Kapital) zur Herstellung von Gütern für den Markt verwendet werden. Dabei ist es unerheblich, ob alle Produktionsfaktoren betrachtet werden, oder — wie bei Marx — nur Arbeit als produktiv angesehen wird. Entscheidend ist, dass Güter in Betrieben produziert um dann auf dem Markt gehandelt zu werden (insofern trifft die Kritik auch auf marxistische Ökonomen zu). Die Produktionsfaktoren (im Folgenden beschränke ich mich auf den Produktionsfaktor Arbeit, bzw. heute: Humankapital) werden entsprechend ihrer Produktivität entlohnt, beispielsweise durch unterschiedlich hohe Löhne und Gehälter. Diese Entlohnung hat nun gleichzeitig eine nicht zu unterschätzende soziale Komponente: durch die Entlohnung (und andere Belohnungssysteme wie Dienstwagen, Karrieremöglichkeiten etc.) wird die produktive Arbeit im Betrieb permanent in-Wert-gesetzt: Über das monatliche Gehalt auf unserem Konto können wir uns und andere vergewissern, dass wir einer wichtigen und gesellschaftlich notwendigen Arbeit nachgehen.
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