Workshop: „Wachstum ohne Alternativen? Geschichtskulturelle und wissensgeschichtliche Dimensionen von Wachstumsnarrativen“

Dies ist der Tagungsbericht zu einem äußerst spannendem Workshop am MPI für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, an dem ich am 6./7.11. teilgenommen habe. Er ist soeben bei HSozKult veröffentlicht worden.

Veranstalter: Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Forschungsgruppe „Eine Wissensgeschichte der menschlichen Vielfalt im 20. Jahrhundert“
Datum, Ort: Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, 06. und 07. November 2014

Tagungsbericht

Wirtschaftliches Wachstum wird heute als Patentlösung der meisten gesellschaftlichen, ökonomischen und sozialen Probleme angesehen. Ob es sich um Arbeitslosigkeit, Armut, die Finanzierung des Wohlfahrtsstaates oder Staatsverschuldung handelt, ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) scheint alternativlos. Gleichzeitig mehren sich wachstumskritische Stimmen. So nahmen an der Anfang September in Leipzig ausgerichteten 4. degrowth-Konferenz über 3000 Wissenschaftler_innen und Aktivist_innen teil, die alle die Vorstellung einte, dass das moderne Wachstumsparadigma ein Teil des Problems und nicht der Lösung darstellt.

In einem von Veronika Lipphardt (Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin), Martin Lücke (Freie Universität Berlin) und Birger Priddat (Universität Witten/Herdecke) veranstalteten interdisziplinären Workshop wurde nun gefragt, wie der Wunsch nach stetigem Wachstum zu einer so mächtigen Leitidee werden konnte. Continue reading

Arbeit und Wachstum — begriffsgeschichtliche Hintergründe

Die derzeitige Organisation der Erwerbsarbeit ist ein Wachstumsmotor. Ich meine damit mehr, als dass Politiker wirtschaftliches Wachstum heute als einzige Möglichkeit auffassen, dem Problem der Massenarbeitslosigkeit zu begegnen. Diese These möchte ich nach und nach konkretisieren. In diesem Beitrag zunächst einige begriffsgeschichtliche Überlegungen die zeigen, wie Arbeit seit Adam Smith einen Begriff darstellt, der eng mit linearem Fortschritts- und Wachstumsglauben verbunden ist. Dabei orientiere ich mich stark an der Begriffsgeschichte von Werner Conze (1972), die Andrea Komlosy kürzlich als „eurozentristische Meistererzählung“ bezeichnet hat, der niemand entkommen könne, der zu Arbeit forsche (Komlosy 2014: 12).

Der Arbeitsbegriff vor der Aufklärung

In dem Weltbild dieser Zeit war für linearen Fortschritts- und Wachstumsglauben wenig Platz. Das gilt daher auch für den Begriff der Arbeit, und das liegt nicht an der Arbeitsverachtung der griechischen Antike, die — mehr oder weniger stark — bis in die Moderne immer wieder durchscheint und in grundsätzlicher Spannung zum christlichen Arbeitsbegriff steht. Denn bereits im frühen Christentum bekommt Arbeit eine positive Konnotation als „Dienst an Gott“. Mit dem Fluch Gottes und der Austreibung aus dem Paradies wird Arbeit zwar zur Mühsal da der Acker verflucht wurde („So soll nun der Acker verflucht sein um deinetwillen; unter Mühsal sollst du dich von ihm nähren“ (1. Buch Mose, 3, 17–19, zitiert nach Conze 1972)), aber gleichzeitig ruht der Segen auf der unter Entbehrungen verrichteten Arbeit: Arbeit ist Erfüllung, bringt Ehre und innere Würde — wenn sie im Gebet verrichtet wird. Dies ist die gemeinsame Grundlage des christlichen Arbeitsbegriffes, der ansonsten durchaus variierte.

Continue reading