über den Blog

Dass ökologische und soziale Frage zusammen gedacht werden müssen, ist bei weitem keine neue Erkenntnis. So zitiere ich im Untertitel des Blogs aus der Einleitung des von Michael Opielka bereits 1985 herausgegebenen Sammelbands „Die ökosoziale Frage“.

Trotzt weltweit steigender sozialer Ungleichheit und Klimakatastrophe ist diese Erkenntnis heute allerdings nicht sonderlich weit verbreitet. „Lösungen“ der sozialen Frage lauten heute nach wie vor (und gefühlt wieder besonders unreflektiert dogmatisch) Wachstum und Vollbeschäftigung. Die Leute sollen heute mehr leisten, heute mehr arbeiten, heute mehr „Humankapital“ generieren, heute mehr konsumieren und wenn nötig trotzdem Lohnzurückhaltung üben, damit morgen die Wirtschaft wächst und es allen besser geht (zu dieser Argumentation vgl. Vobruba 1986). Das Versprechen lautet also: „a rising tide lifts all boats„. Wenn Deutschland entsprechend wettbewerbsfähig wird und die Wirtschaft nur stark genug wächst, dann profitieren letztlich alle davon. Ein Versprechen, das angesichts mickriger Wachstumsraten, steigender sozialer Ungleichheit und schön gerechneter Arbeitslosenstatistiken (selbst im wirtschaftlich so starken Deutschland!) wie Hohn klingt, aber offensichtlich nach wie vor — nicht nur bei neoklassischen Ökonomen, sondern quer zu allen politischen Lagern — hohe Anziehungskraft besitzt. Auch in der Wissenschaft ist diese Vorstellung weit verbreitet. Das derzeit in Europa dominante sozialpolitische Paradigma, der Social Investment Welfare State (vgl. Dingeldey 2005, Brettschneider 2008) funktioniert genau nach dieser Logik: heute investieren (wobei damit vor allem Investitionen in „Humankapital“ gemeint sich), damit morgen die Wirtschaft brummt, mehr Leute besser bezahlte Jobs haben und die Sozialsysteme so entlastet werden.

Dabei ist es empirisch und theoretisch äußerst zweifelhaft, ob Wachstum und Vollbeschäftigung die Lösung darstellen können:

  • Selbst neoklassische Ökonomen weisen inzwischen darauf hin, dass (zumindest in den Ländern des globalen Nordens) keine ernsthaften Wachstumsraten mehr zu erwarten sind.
  • Vollbeschäftigung war historisch stets die Ausnahme und ist auch aus systematischen Gründen unwahrscheinlich.
  • Die weltweit zwischen und innerhalb von Nationalstaaten rasant zunehmende soziale Ungleichheit zeigt, dass wirtschaftliches Wachstum eben nicht den sozial Benachteiligten zu Gute kommen muss.

Zur sozialen kommt die ökologische Frage. Das Festhalten an Erwerbsarbeit um jeden Preis führt nach wie vor dazu, dass ethisch (hier sei nur an die deutschen Waffenexporte gedacht) und ökologisch (z.B. Kohlesubventionen) katastrophale Erwerbsarbeit von der Politik gefördert und den Arbeitnehmer_innen verteidigt wird. Die Wachstumsproblematik ist ebenso wenig neu. Spätestens seit den „Limits of Growth“ von 1972 wissen wir, das unendliches Wachstum in einer endlichen Welt nicht möglich sei. Von der Postwachstumsbewegung (bzw. stärker: decroissance und degrowth) wird diese Thematik derzeit wieder verstärkt auf die Agenda gesetzt und (m.E. überzeugend) argumentiert, dass ein Ende des Wachstums oder sogar Schrumpfung von Konsumption und Produktion unumgänglich ist (vgl. Paech 2012). Paradoxerweise sind es gerade die Grünen (und die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung), die mit der Idee des „grünen Wachstums“ die Illusion aufrecht erhalten, dass ein „weiter so“ (nur halt in grün) möglich ist. Dabei verkennt die Idee des grünen Wachstums vollkommen, dass Effizienz — also ressourcenschonende Technologien — nichts anderes darstellt als technologischer Fortschritt. Dieser ist aber nun ein Grundelement des Kapitalismus, und bei weitem keine Erfindung der Grünen. So hat die Forschung zu Rebound-Effekten inzwischen überzeugend gezeigt, dass Effizienz eben nicht den gesamtgesellschaftlichen Ressourcenverbrauch senken muss, sondern sogar gegenteilige Effekte haben kann (vgl. Santarius 2013).

Die Fäden von ökologischer und sozialer Frage laufen somit — und auch das erscheint wieder fast altmodisch — bei der Organisation von Erwerbsarbeit zusammen. Nur eine grundlegend andere Produktionsweise kann es ermöglichen, das Dilemma eines auf wirtschaftliches Wachstum angewiesenen Vollbeschäftigungsideals aufzulösen.

Die Forderung nach einer grundlegend anderen Organisation von Arbeit ist eine radikal politische Forderung, die erhebliches Konfliktpotential mit sich bringt. Es ist nicht zu erwarten, dass die Gewinner des derzeitigen Systems freiwillig bereits sind, ihre privilegierte Stellung aufzugeben. Ich halte es für recht naiv zu glauben, dass sich sozial und ökologisch nachhaltige Vorstellungen vom guten Leben schlicht aufgrund ihrer Attraktivität durchsetzen werden. Wer glaubt, dass die Menschen einfach so bereit sind, ihre Konsumgewohnheiten zu ändern, mehr selber zu produzieren etc., der sollte einfach mal Aktivisten der Postwachstumsbewegung fragen, wann sie das letzte Mal in Urlaub geflogen sind und ob sie zwischen ihren vielen Projekten noch Zeit hatten, die selbst angebauten Tomaten zu ernten. Nein, es geht „hier ganz wesentlich um normative und Interessenentscheidungen, um Macht und soziale Kämpfe“ (Opielka 1985: 10). Ich denke, dass die Postwachstumsbewegung Verteilungsfragen, und damit Fragen nach der Verteilung von Arbeit und Einkommen, stärker in ihr theoretisches Konzept aufnehmen muss. Ansonsten gerät sie in die Gefahr, unpolitisch zu werden. Tatsächlich hatte ich auf der degrowth-Konferenz in Leipzig das Gefühl, dass viele Referent_innen die Bedeutung von wirtschaftlichem Wachstum für den Arbeitsmarkt herunterspielten. Unser wohlfahrtsstaatliches System lohnarbeitszentrierter Sozialpolitik basiert ganz entscheidend auf einem hohen bzw. steigendem Beschäftigungsniveau, und dieses wiederum auf einem steigenden Bruttoinlandsprodukt.

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Die beiden Graphiken (Vobruba 1989 und zur Verlängerung der Reihe: eigene Berechnungen mit eurostat) zeigen einen sehr starken und hochgradig stabilen Zusammenhang zwischen Wachstumsrate und Veränderungen im Beschäftigungsniveau seit bestehen der Bundesrepublik. Wachstum ist nicht das einzige Mittel um Beschäftigung zu generieren — aber ein sehr brauchbares. Arbeitnehmer haben daher ein erstzunehmendes und legitimes Interesse an einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes. Wenn Postwachstumsbefürworter diesen Zusammenhang ignorieren, dann geraten sie in Gefahr, als elitäre, realitätsferne Gruppe der ohnehin Priviligierten wahrgenommen zu werden und sich so wichtige Allianzen zu verbauen. Postwachstum by design erfordert eine grundlegend veränderte Organisation gesellschaftlich notwendiger Arbeit. Was sonst passiert, nämlich Postwachstum by desaster, zeigt sich derzeit paradigmatisch in Süd- und Südosteuropa.

Damit ist das Thema des Blogs umrissen. „work for (a) degrowth (society)“ – der doppeldeutige Titel des Blogs soll zeigen, dass es zum einen darum geht, an einer Postwachstumsgesellschaft zu arbeiten. Durch politischen Aktivismus, die Erprobung alternativer Lebensstile — oder das systematische Nachdenken über die Konsequenzen der politisch folgenreichen Postwachstumsidee. Zum anderen frage ich mich — als Soziologe, Wirtschaftswissenschaftler und Historiker der sich mit Arbeit beschäftigt — wie Arbeit in einer bzw. auf dem Weg in eine Postwachstumsgesellschaft organisiert werden kann. Ich diskutiere, warum Politik, die sich systematisch von den beiden Illusionen Wachstum und Vollbeschäftigung leiten lässt, geradewegs in die ökologische Katastrophe führt. Dazu soll auch aufgezeigt werden, wie nicht nur die Politik (das ist meist offensichtlich) sondern gerade auch die Sozialwissenschaften (die es besser wissen sollten) die Werturteile Wachstum und Vollbeschäftigung implizit zu Grunde legen und diese unter dem Deckmantel der Werturteilsfreiheit verstecken.

Ein letzter Hinweis: Der Blog beschäftigt sich mit wissenschaftlichen Themen und bedient sich sozialwissenschaftlicher Argumentationen. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass es sich um Blog-Einträge und nicht um wissenschaftliche Aufsätze handelt. Die Einträge spiegeln mein aktuelles Denken wieder, und das ist manchmal unausgereift, inkonsistent und mag durchaus auch einmal auf unzureichender Kenntnis der Literatur beruhen. Erwartet also keine druckreifen Artikel hier. Statt dessen freue ich  mich über Diskussionen und kritische Hinweise!

Literatur

Antonio Brettschneider (2008). „On the Way to Social Investment? The Normative Recalibration of the German Welfare State“. In: German Policy Studies 4.2, S. 19–66

Irene Dingeldey (2005). „Vom klassischen zum aktivierenden Wohlfahrtsstaat“. In: Zur Genealogie des politischen Raums. Politische Strukturen im Wandel. Hrsg. von Kathrin Groh & Christine Weinbach. Wiesbaden: VS Verlag, S. 273–308

Niko Paech (2013). Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. 5. Auflage. München: Oekom-Verlag

Michael Opielka, Hrsg. (1985). Die ökosoziale Frage. Entwürfe zum Sozialstaat. Frankfurt am Main: Fischer

Tilmann Santarius (2013). „Der Rebound-Effekt: Die Illusion des grünen Wachstums“. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 12, S. 67–74

Georg Vobruba (1986). „Die populistische Anrufung der Gemeinschaft“. In: Populismus und Aufklärung. Hrsg. von Helmut Dubiel. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 221–247

Georg Vobruba und Heinz-Peter Spahn (1989). „Das Beschäftigungsproblem. Die ökonomische Sonderstellung des Arbeitsmarkts und die Grenzen der Wirtschaftspolitik“. In: Arbeiten und Essen. Politik an den Grenzen des Arbeitsmarktes. Hrsg. von Georg Vobruba. Wien: Passagen-Verlag, S. 43–72

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