Naomi Klein ist so etwas wie der derzeitige shooting star der degrowth-Bewegung. Der Titel ihres neuen Buches verspricht einiges: „Die Entscheidung. Kapital vs. Klima“. Klärt Naomi Klein hier also endlich die so entscheidende Frage, ob Klimagerechtigkeit und Kapitalismus zusammen gehen? In diesem Beitrag diskutiere ich ihre in den „Blättern“ (5’15)1 abgedruckte democracy lecture, in der sie die Thesen ihres Buches2 prägnant zusammenfasst.
Kapitalismus oder Neoliberalismus?
Die Frage, auf die ich hier die Antwort suche ist die, ob Kapitalismus und Klimagerechtigkeit grundsätzlich unvereinbar sind, oder ob das Problem eine spezifische neoliberale Spielart des Kapitalismus darstellt. Wäre letzteres der Fall, dann ließen sich quasi Kapitalimus und Klima gemeinsam retten: Durch einen (wieder) stärker regulierten Kapitalismus keynesianischer Prägung mit starken staatlichen Sektoren, insbesondere im Bereich der öffentlichen Grundversorgung (Wasser, Strom, Gas, ÖPNV etc.). Wenn aber alle Spielarten des Kapitalismus zu Extraktivismus und Klimakatastrophe führten, dann müssten die politischen Konsequenzen sehr viel radikaler ausfallen. Wie sieht nun Naomi Kleins Antwort aus?
Diese ist eindeutig: Sie sieht ganz klar einen Konflikt zwischen Klima und Kapitalismus – und nicht „nur“ einen zwischen Klima und Neoliberalismus. Und da der Konflikt ein so grundsätzlicher sei, sei die eben angesprochene Lösung – eine Rückkehr „zu einem sozialdemokratischen Modell à la Keynes“ (53) – keine Option. Die Anschlussfrage an den Text muss nun lauten: „Warum ist das so?“. Um diese komplexe Frage zu beantworten, müssen zunächst zwei andere Fragen geklärt werden:
- Was versteht Naomi Klein unter Kapitalismus?
- Und dann: was ist das Wesensmerkmal des Kapitalismus, das mit Klimaschutz unvereinbar ist?
Erst wenn diese beiden Punkte geklärt sind ließe sich sagen, warum nun Kapitalismus und Klimaschutz unvereinbar sind. Und dann politische Schlussfolgerungen ziehen: Was sind die politischen Konsequenzen? Was muss getan werden?
Analytisch wäre nun zu erwarten, dass Naomi Klein eine – zumindest recht allgemeine – Antwort darauf gibt, was sie unter dem Kapitalismus versteht und was das definitorische Minimum, also der kleinste gemeinsame Nenner aller kapitalistischen Systeme ist. Denn es müsste ja dieser kleinste gemeinsame Nenner sein, der dazu führt, dass Kapitalismus generell – und nicht eine spezifische Spielart – mit Klimagerechtigkeit unvereinbar ist.
Warum gehen Kapitalismus und Klima nicht zusammen?
Leider gibt die Autorin an keiner Stelle eine – auch nur implizite – Kapitalismus-Definition. Die Antworten auf diese zentrale Frage kann daher nur indirekt erschlossen werden indem wir uns direkt in die Argumentation zur Unvereinbarkeit von Kapitalimus und Klimaschutz begeben. Warum geht beides nicht zusammen? Dies liege, so die Autorin, in „ganz ungewöhnlich schlechtem Timing“ (47). Der Klimawandel tritt nämlich zu dem Zeitpunkt auf den Plan, zu dem die Systemkonkurrenz zwischen kapitalistischem Westen und und sozialistischem Osten durch den Zusammenbruch der Sowjetunion obsolet wird. Das neoliberale Projekt kann sich nun ganz ungehindert seine Bahn brechnen, ohne jegliche ideologische Konkurrenz mehr fürchten zu müssen.
Und hier wird es spannend: Naomi Kleins Argumentation ist nämlich folgende: Wenn wir bereits Ende der 1980er Jahren damit begonnen hätten, das kapitalistische Wirtschaftssystem klimafreundlich umzugestalten, „dann hätten wir eine schrittweise Konversion weg von den fossilen Brennstoffen haben können.“ (53). Nun aber, nach zweieinhalb Jahrzehnten Deregulierung und Vermarktlichung, sei das nicht mehr möglich. Der Zeitraum, in dem die Menschheit hätte handeln können, ist untätig verstrichen und nun müssten die jährlichen Emmissionen um acht bis zehn Prozent vermindern werden, um die Klimakatastrophe noch abzuwehren. „Doch für so etwas gibt es kein Modell, das mit einem auf Wachstum basierenden Wirtschaftssystem kompatibel wäre.“ „Wir haben so lange gewartet und so oft exakt das Falsche getan, dass wir jetzt ganz ohne Optionen dastehen, die nicht radikal sind.“(54)
Diese Argumentation ist überraschend und irritierend. Denn offensichtlich sieht sie gar keinen grundsätzlichen Konflikt zwischen Kapitalismus und Klima: in den 1980er Jahren wäre der klimafreundliche Kapitalismus ja noch möglich gewesen. Er ist nur heute nicht mehr zu haben, da es der Kapitalismus nicht zulässt, Emmissionen so schnell und radikal zu reduzieren, wie es nun nötig wäre. Das ist aber eine grundsätzlich andere Argumentation als angekündigt: Der Konflikt, den sie hier beschreibt, ist der Konflikt zwischen Kapitalismus und radikaler Emmissionsverminderung (acht bis zehn Prozent nennt sie konkret), nicht aber der Konflikt zwischen Kapitalismus und Klimaschutz an sich.
Der Widerspruch zwischen ihrer Grundaussage („Kapitalismus und Klima gehen einfach nicht zusammen“) und ihrer dann anschließenden Argumentation ist frappierend. Muss ihr das nicht selbst aufgefallen sein? Ich will im Folgenden argumentieren, dass Naomi Klein ein brauchbarer Kapitalismus-Begriff fehlt, um ihre Kritik logisch sauber fundieren zu können.
Politische Konsequenzen
Ich habe bisher gezeigt, dass Naomi Klein weder genau formuliert, wo gegen sie eigentlich ist (also ihren Kapitalismus-Begriff konkretisiert), noch, dass sie argumentativ fundiert, wo eigentlich die Unvereinbarkeit zwischen Kapitalismus und Klima liegt. Denn die Argumentation über „schlechtes Timing“ und die Notwendigkeit, nun möglichst schnell Emmissionen zu reduzieren (um irgendwelche, von Klimawissenschaftlern ermittelte Zielmarken wie das „2-Grad-Ziel“ zu erreichen), ist eine Argumentation über systemexterne Faktoren und nicht über Widersprüche im kapitalistischen System an sich. Eine grundsätzliche Unvereinbarkeit lässt sich so nicht begründen.
Schauen wir im nächsten Schritt, welche Lösungsvorschläge Naomi Klein anbietet und für welche Politiken sie sich stark macht. Darüber lässt sich vielleicht ableiten, welches System sie befürwortet und damit möglicherweise auch, welches sie ablehnt und wo die genauen Probleme liegen.
Tatsächlich finden sich im Text eine Reihe, leider meist unverbunden nebeneinander stehender, politischer Lösungsvorschläge. Naomi Klein ist gegen marktbasierte Lösungen, statt dessen für gesetzliche Regulierung (48); ein immer wieder betonter Punkt ist die Rekommunalisierung der örtlichen Energieversorgung, das heißt, dass große Teile der einst privatisierten Grundversorgungssysteme wieder staatlich werden sollen; außerdem soll „Großes Geld“ zurückgedrängt werden; Naomi Klein ist gegen ungebremsten Freihandel und setzt sich für Maßnahmen zur (Energie)Effizienzsteigerung ein. Diese hier nur kurz gelisteten Maßnahmen lassen sich, so verstehe ich die Autorin, im Wesentlichen auf den Nenner „staatliche Regulierung statt neoliberale Politik“ bringen. Sie führt also auch hier eine Liste von Maßnahmen auf, die zwar den Markt in Teilen zurückdrängen würden und mehr Spielraum für staatliche Steuerung ließen – sie macht aber auch hier keine Politikvorschläge, die das kapitalistische System grundlegend in Frage stellen würden.
Soziale Sicherheit als Arbeitsplatzsicherheit
Von besonderem Interesse ist das Ziel der von ihr diskutierten politischen Maßnahmen: es geht ihr nicht „nur“ um Klimaschutz, sondern darüber hinaus um soziale Sicherheit – die für sie vor allem Arbeitsplatzsicherheit darstellt. Das bisherige, deregulierte System habe die „Arbeitsplatzsicherheit unzähliger Menschen“ geopfert (55). Eine Regulierung aber, hin zu einem ökologischen Umbau der Wirtschaft könne, so Klein, „zahllose gute reguläre Arbeitsplätze mit allen gewerkschaftlichen Rechten schaffen. Jeder Dollar oder Euro, der in erneuerbare Energien, Effizienzsteigerungen und öffentlichen Transport investiert wird, schafft damit sechs- bis achtmal so viele Arbeitsplätze, als wenn er in die Öl oder Gasinfrastruktur geflossen wäre.“ (55) Von diesem Punkt scheint Naomi Klein sehr überzeugt, da sie immer wieder darauf zurückkommt. Als Beispiel führt sie eine win-win-Strategie aus Ontario an: Durch ein Investitionsprogramm in erneuerbare Energien und eine konsequente Abkehr von der Kohle konnten 30.000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Das sei „genau die Art radikaler Maßnahmen, die wir ergreifen müssen.“
„Radikal“ bedeutet hier also ein grünes Investitionsprogramm analog des in Deutschland diskutierten green new deal. Naomi Klein setzt auf die staatlich gelenkte Schrumpfung ernergieintensiver Sektoren und das gleichzeitige Wachstum grüner und effizienter Technologien. Ein Ansatz, der große Kompatibilität mit Ideen der ökologischen Modernisierung aufweist.
Ist das radikale Kapitalismuskritik? Es kommt auf den Standpunkt an. Für einen Anhänger Republikaner aus den vereinigten Staaten sicherlich. Für viele Anhänger der degrowth-Idee mit Sicherheit nicht. Mein persönliches Lektüre-Fazit bleibt daher folgendes: Naomi Klein spricht viele wichtige Probleme an und ihre besondere Stärke besteht darin, diese prägnant zusammenzufassen und auf den Punkt zu bringen. Wer sich aber, wie ich, erhofft hat, eine brauchbare Argumentation zur Unvereinbarkeit von Klimaschutz und Kapitalismus zu finden, der muss enttäuscht werden. Naomi Kleins Argumentation ist in dieser Hinsicht enttäuschend und logisch inkonsistent. In den kritischen Medien wird Naomi Klein häufig als Autorin zitiert, die die Unvereinbarkeit von Klimaschutz und Kapitalismus nachweißt. Ich denke auch, dass beides nicht zusammengeht. So, wie es Naomi Klein versucht, lässt es sich allerdings nicht begründen.